Vögel haben keine Fenster
Wendel Schäfer
Gollenstein Verlag,
Blieskastell
Kurzprosa, 1994
ISBN 3- 930008-08-4
138 S. DM 26,50
|
|
|
Wendel Schäfer-Vögel haben keine Fenster |
|
|
|
|
Meinungen
"Als märchenhaft verzaubernde Geschichte beginnen alle seine
Essais. Bis zum Bruch, zur skurrilen Wendung, die immer ein Schlaglicht
auf menschliche Probleme wirft...Geschichten, die unter die Haut
gehen."
(abc, 'Dotzheimer Kontakte)
"Horror und Beklemmung, die sich aus dem ganz Alltäglichen
speisen, wie etwa bei Stephen King, sind da natürlich im Spiel, nur Schäfer
erzählt knapper, ironischer."
(oli, 'Saarbrücker Zeitung')
"Klaus Wiegerling stellt in seinem Nachwort über diese Kurzprosa
von Wendel Schäfer fest, dass der Argentinier Jorge Luis Borges so
etwas wie ein Ziehvater sein könnte, finde man doch auch in seinen
Texten viel Kryptisches, Phantastisches und Labyrinthisches."
(K. Greifenstein, 'die bücherei')
"Es steckt Verführungslust in den grotesken, absurden,
abenteuerlichen, vielleicht auch spinnerten Texten...ein vergnügliches
Lesen auf den Innenlippen...eine Besonderheit schon diese
sprachlichen Ausflüge in den Schmelztiegel überlieferter und neuester
Wortmittel."
(E. Alexander, 'Passagen')
"Dass man auch auf boshafte, manchmal sogar ausgesprochen
stachelige Weise ein charmanter Erzähler sein kann, und dass man bei
allem Charme die nötige Prise Kaltschnäuzigkeit nicht aussparen muss,
das macht Wendel Schäfer klipp und klar. ...Hier schreibt ein Erotiker,
der zwischen Finesse und Lust seine Prosa ansiedelt. Dem Leser kann das
nur recht sein."
(R. Hochstätter, 'Zeichen und Wunder')
"...symbolhaft aufgeladene Kurzprosa...auch im Deutschunterricht
als moderne Kurztexte einsetzbar."
(Chr. Kästner, 'ekz-infodienst)
"Kurz- und Kürzestprosa der meisterhaften Art...böse, bissig,
bisweilen sarkastisch, dass der Atem stockt."
(Th. Krämer, 'Schreibkraft')
"Die Verlagswerbung untertreibt, nicht ins groteske Gestrüpp
menschlicher Begehrlichkeiten führen diese Texte, sondern in den
Dschungel absurder Monstrositäten. Ein literarisches Abenteuer -
lesenswert."
(SCRIPTUM, Schweizer Literaturmagazin)
...es sind Texte über das Ausschließen der Welt aus sich oder das
Sich-Verschließen vor der Welt. Nach außen gekehrte Innerlichkeiten
hinter geschlossener Gardine. Und hier lässt E.T.A. Hoffmann grüßen.
..Schäfers Sprache strotzt vor Sinnlichkeit."
(A. Strubel, 'der literat')
"Wenn Schäfer realistische Prosa schriebe, müsste man sagen: präzise
beobachtet. Aber tatsächlich ist sie mehr. Sie ist präzise imaginiert,
und sie wird von Schäfer mit großer Sicherheit formuliert."
(Fr. List, 'SCRIPTUM')
"Wendel Schäfers Kurzprosasammlung eröffnet erstaunliche Möglichkeiten...es
gelingt ihm, mit einem verständnisvollen Humor für die Dinge, die er
angerichtet hat, dem Leser ständig eine Tür offenzuhalten."
(U. Marx, 'Krautgarten')
"Die kurzen Graffitis aus der Höhle des Löwen sind nichts für
schlichte und softe Gemüter."
(Th. Holtbernd, 'Impressum')
"Wendel
Schäfer schreibt Prosa mit dem Tranchiermesser."
(E. Richter, 'Saarbrücker Zeitung', 27.04.1995)
Leseproben
Leibgerecht
Die junge Häsin an den Hinterbeinen, schussfrisch, zuckt mit warmem
daunenweichem Leib, 'sag mir ein Weib, das einen solchen Leib hat', der
der Waidmann kaltknotigem Gekrumpel oben und unten und Doppelkorn flach
serviert, 'man müsste es schon in warmes Öl geben oder brühendes
Pfefferwasser, mit dem sie Knaben dort schlaffen, wo man sie zu Eunuchen
verschneidet' und ist auch schon zum Leibgericht am Feuer drinnen mit
den Saufellen drunter und Keilerwaffen drüber verschwunden und lässt
die Häsin, die bald kalt und hart an durchbohrten Hinterläufen draußen
im Nachtwind schaukeln wird.
Regenzeit
Mit der Geburtstagsfrage des Kleinen, 'wenn es keine Regenwälder mehr
gibt, Papa, hört es dann endlich auf zu regnen, weil ich mein Zelt
ausprobieren will', hatte der Grundklässler, witzig umweltdrauf eine
Frage getan, die Onkels und Tanten maliziös erschütterte, die Mama zur
Backröhre vertrieb, und dem Vater die Hand ausfahren ließ, dass der
Geburtsling fortstob, und an seinem Plätzchen, irgendwo, die Tränen
dicht regneten, dass an ihm alles nass war, und er für längere Zeit, für
Jahre, für's Leben geweicht ging, und sein Zelt verschlossen blieb,
obwohl die Wetterkarte ein Zwischenhoch erzählte, und die Party noch
weit über die Nacht hinaus, feucht zwar, aber entschieden hoch herging.
Roter Fingerhut
"Fass!" Und Blumentritt fiel nach hinten, kippte zur Seite und
lag wie ein Penner ruht auf hartem Holz. Ein mächtiges, nacktes Biest
war auf ihn losgesprungen, hatte ihn umgerissen, zugedeckt und auf
rohen Brettern niedergehalten. Sein heißes, pulsierendes Fleisch lag auf
ihn gepresst wie eine gummiglatte, feuchtwabbelige Bettflasche. Die
Zitzen stachen ihm durch das Hemd wie schlecht sitzende Druckknöpfe.
Ein mörderisches Hecheln spickte das Ohr, und die dampfende Zunge war
wie ein Krummschwert über seinen glühenden Backen aufgehängt. Mit der
anderen Gesichtshälfte lag Blumentritt in Fingerhutstauden gedrückt.
Die roten Glocken schoben sich zwischen seine halb geöffneten, schwer
nach Luft schnappenden Karpfenlippen. Er hatte den Rachenblütler mit
den Wurzeln genommen. Für unter die Fichtengruppe in der Rasenecke.
"Brav!" Kam es von fuchsroten Strickstrümpfen, die in
klobigen Halbschuhen steckten und dickwadig aus zusammengeschnalltem
Leder quollen.
Und dabei hatte alles so einfach und natürlich angefangen. Blumentritt
war ein bisschen eingenickt. War müde geworden auf weichem Waldboden.
Hatte sich auf eine Bank gesetzt, sein Gesicht einer tiefen Sonne
entgegengehalten und die Augendeckel von behutsamen Strahlen sanft
massieren lassen.
Blumentritt wollte auf, hochkommen, sich erklären und befahl seinen
Muskeln. Sofort drückte das Vieh gegen, hart und sehnig. Und die Zunge
fuhr herab überschwemmte sein Gesicht, überzog es mit einem scharf
riechenden Film. Wortklumpen zerliefen in Gegurgel und Geschmatz.
"Kusch!" Drohte die grüne Jacke mit roten Steppnähten. Und
ließ ein Gewehr bis runter auf die Schuhspizen gleiten. Das Tier hatte
Blumentritt festgesetzt und an die Bank gepappt. Er fühlte sich von
einer riesigen Schnecke überkrochen. --- Und die Fingerhutglocken
sprossen weiter in den Mund und drückten gegen seine Zunge. Sie
schmeckten ihm bitter und verschafften lähmende Entspannung.
"Digitalis Purpurea!" Belehrte ihn ein gerötetes Gesicht. Und
wieder leckte die Hündin alle Erklärungen und Einwände aus dem
Gesicht, und drückte Blumentritt ihr rohes Fleisch auf. Der empfand
jetzt eher ein Wohlbehagen, fühlte, wie sich ihre Atemstöße und
Blutströme anglichen. --- Und Fingerhut wuchs immer tiefer in den
Rachen. Blumentritt kaute und würgte, bis er benommen und willenlos
lag.
"Ausgerissen!" Klagte ein Filzhut, und der Gamsbart wippte
erregt. Und noch einnehmender klebte sich seine Gefährtin über ihn.
Wie eine zweite Haut aus pochendem Hundefleisch. --- Sein Kopf lag betäubt
vom Saft der Fingerhüte, die ihm bis in die Schädelhöhlen
wucherten. So lagen die beiden Puls an Puls, Atem an Atem, Fleisch an
Fleisch. Blumentritt fasste wie von selbst mit dem freien Arm um seine
weiche Freundin. Er war nun ganz ohne Schuldgefühle. Kam sich
angenommen und verstanden vor. --- Und überall am Kopf keimten
Fingerhuttriebe.
Aus den klobigen Halbschuhen schlugen Wurzeln, die fuchsroten Waden
wuchsen zu einem Stamm, aus der grünen Jacke verzweigten sich Äste,
und der Kopf verdickte sich zu einer Laubkrone. Ganz oben in eine Gabel
geschmiegt saß der Filzhut wie ein Vogelnest. Das Gewehr verwandelte
sich in einen Habicht, schraubte eine Spirale um den Baum und setzte
sich in den Horst. Dann neigte sich der Baum herunter und nahm das
verschlungene Paar auf, verbarg es und gab es nicht mehr heraus.
Blumentritt blieb seitdem verschwunden. Nur im Schatten einer riesigen
Ulme wuchsen rote Fingerhüte. Und im Gras dazwischen tollten junge
Hunde.
|