Freigang der Käuze
Kurzgeschichten
Wendel Schäfer
Titel und weitere Grafiken Michael Schaffer
Pop-Verlag
, Ludwigsburg 2020
ISBN 978-3-86356-278-6
278 Seiten

 

 
Wendel Schäfer-
Freigang der Käuze
 
 

 


Leseproben

Regenballett

Hatte er gar nicht mitbekommen, dass sich die Bierterasse schnell leerte. Blauschwarze Wolken waren von den Bergen über die Wiesen hergeschoben. Er blieb auch sitzen, als der Kellner rasch die Tischschirmchen zusammenfaltete und die hölzernen Klappstühle hochlehnte. Er bestellte sich noch ein Maß. Danach blieb der Kellner drinnen hinter halb runtergelassenen Rolläfrn verschwunden.
Als sich der Himmel weiter verdunkelte, Blitz und DOnne4r näher rückten, kam Wind auf. Leicht und erfrischend erst. Nahm die Schwüle mit von der Terrasse. Hergewehter Sand und Staub, vermischt mit toten Gräsern stachen die Augen und schwerten das Atmen. Jetzt fegten Windböen über die Terrasse. Stoßweise und fuhren den Schirmen unter die Röckchen. Die hoben und senkten sich im Takt der Stöße. Und gaben mal mehr mal weniger die gelackten Stäbe frei. Schlanke, glatte, weiß gestrumpfte Beine. Er schaute gebannt und achtete nicht die Regenflut, die ihm bald Haar, Hemd und Hose tränkten. Und erbesengroße Eisbällchen gegen das Glas klirrten.
Die Kellner neugierig hinter sicheren Scheiben.
Wind und Wetter hatten sich schnell verzogen. Die Schirme hingen nass und schwer mit geschlossenen Röcken. Das Ballett war vorüber, die Vorstellung beendet. Seine Mädchen blieben verschlossen und reglos.
Er stand auf, mühte sich von einem Tisch zum anderen und umfasste die klammen Beine der Tänzerinnen. Fuhr ihnen behutsam rauf und runter. Geriet auch unter die Röckchen, als wollte er ihnen aufhelfen.
Zwei Kellner und ein Servirmädchen hinter vorgezogenen Halbgardinen..
Er ließ auch nicht ab, als ein Mann mit dunklem Anzug heraustrat und ihm mit heftigen Gesten bedeutete. Die Ballerina an seinem Tisch umarmte er und drückte sie fest an sich, dass es aus ihr floss wie aus einem triefnassen Lumpen. Dazu ein paar Tropfen aus den Augen des Meisters.
Wenig später fuhr ein grünes Auto vor. Man nahm ihn mit.
Widerstandslos.
Vor einigen Tagen hatte ihm das städtische Ballett fristlos gekündigt.
Auf Widerspruch und amtsärtzliche Untersuchung hatte er verzichtet.



Der Echo Mann

Das Dorf erstreckte sich über einen flachen Bergrücken. Serpentinen führten hinunter in ein Wiesental. Ein kleiner Fluss, 'die Bach', hatte es mit der Zeit mühsam gegraben. Auf der anderen Seite erhob sich ein Felsmassiv. In der Mitte dem Dorf gegenüber eine hohe Steilwand. Weithin bekannt als die Echo Wand. In ihr eine Höhle, wie ein großes, aufgesperrtes Maul. Darüber eine senkrechte, schwarzblaue Schieferlage, die Nase. Auf beiden Seiten quoll Buschwerk aus den Spalten. Die AUgen. Mit dicken Brauen im Sommer und Herbst. Und so hieß die Felswand bei allen nur der 'Echo Mann'. Grob, wild, unheimlich, abweisend. Zwei Kletterer hätten einmal versucht, in dass 'Maul' einzusteigen.. Sie wurden am Fuß der Wand zerschmettert aufgefunden.. 'Die hat der Echo Mann runtergestoßen.' Ein anderer konnte aus der Höhle nicht mehr herausfinden. 'Den hat der Echo Mann verschluckt.' Seitdem hat sich niemand mehr in die gefährliche Wand getraut.
Die Dorfbewohner hatten mit der Wand ihren Spaß. Besonders die Halbwüchsigen. Und immer dabei der kleine Felix. 'Den haben sie mit der Zange geholt', wussten alle im Dorf. Dem Felix ließen die Eltern die Haare lang wachsen, um die Dellen zu verbergen. Zur Schule brauchte Felix noch nicht. Obwohl er schon acht war. 'Der hat noch Zeit, kapiert sowieso nix.' Felix war zurück geblieben. Aber gewitzt. Wusste sich beliebt zu machen. Und grinste immer. Trieb sich den ganzen Tag mit den anderen, den Großen, herum. Die hatten nur Streiche im Kopf und nutzteen Felix aus. 'Der merkt das nicht.' Öffnete Hasenställe, trieb die Hühner auseinander, nahm Eier aus ihren Nestern und besorgte den Großen Wäsche von der Leine. 'Unterzeug' von seiner großen Schwester. Dafür bekam Felix immer etwas von der Rolle Lakritz ab. 'Haben wir vom Mann da drüben in der Höhle. Das geht ganz einfach. Holst einen dicken Stein aus dem Bach, kletterst ein bischen den Felsen hoch und klopfst dreimal an die Wand. Dann kommt ein längerer Arm runter mit einer Rolle Lakritz.' Felix nickte verständnisvoll und grinste.. Einmal wurde er im Dorfladen erwischt. Süßigkeiten und etwas Geld aus der Kasse für die Großen. Felix erhielt strengen Stubenarrest und durfte erst wieder raus, als er zugab, die Großen bedient zu haben. Mit denen durfte er dann auch nicht mehr herumtollen.. Am schlimmsten traf es ihn, dass er mit ihnen nicht mehr herüberrufen konnte.Das war nämlich besonders lustig. Auf 'Wesel' echote es 'Esel'. Auf 'schöner Mund' 'blöder Hund'. Besonders lustig kam die ANtwort auf den Ruf 'was ist der Bürgermeister Daume?' 'Ne Pflaume'. Noch lustiger aber fand Felix immer das mit dem Lehrer Weise. 'Was macht der Lehrer Weise?' NNur Schiße.' kam es dann von der Wand zurück unter dem Gejohle der Großen. Felix verstand, und sein Grinsen wurde breit wie ein Kehrblech. Schlimmer traf es die Großen. Das ganze Dorf war aufgebracht wegen dem 'Verbrechen' an dem unschuldigen Felix. Einmal noch traf er auf sie, wie so oft am Dorfrand gegenüber der Steinwand. 'Da kommt ja unser Döschkopp und Verräter.' Zeigten ihre blauen Flecken und stießen, knufften und traten ihn. 'Und Lakritz kriegst du auch nicht mehr. Kannst du dir selbst holen. Weißt ja, wie das geht. Die Meute ließ erst von ihm ab, als ein Bauer mit seinem Trecker vorbei kam. Sie grinsten und ließen Felix heulend zurück. Eines Tages war Felix verschwunden.War von zuhause weggelaufen. Niemand wusste, wohin. Alles Suchen blieb vergeblich. Monate später, an einem heißen Sommertag, entdeckte ein Dörfler im niedrigen Bachwasser unterhalb der Steilwand Sandalen mit Söckchen reingesteckt. Die Sachen gehörten Felix. Von dem Kind aber fehlte jede Spur.
'Den Felix hat sich der Echo Mann geholt.'



Kröte verkehrt

Auf dem Komposthaufen liegt sie, ganz oben auf, als Abschluss gleichsam, wie ein gefüllter Suppennapf, Kopf und faltiger Hals weit gestreckt, der starre Löffel, und da sagst du, 'die lebt noch, Schildkröten sehen immer so ein bischen gestorben aus', dass ich bestimmen muss, 'beim Abfall?, auf dem Buckel?, mit ruhendem Laufwer?, die ist tot', worauf du dann (völlig überflüssig) meinst, dass sie bestimmt noch 100 Jahre hätte leben können, die Viecher werden uralt, 'und hätte noch so viel zu sagen gehbat', schließe ich den Nekrolog, um wenigstens ein letztes vernünftiges Wort zu haben.





Meinungen

'Schäfers Prosa ist wie Wein zu Kanaan. Unerschöpflich und gut.'
(Robert Schaus, Malmedy)

'Schäfer ist ein Meister, der Meister der Kurzprosa.'
(Ernst Heimes, Koblenz)

'Das beste, was ich in letzter Zeit gelesen habe. Meisterlich. perfekt. Hierüber sprechen wir auf gleicher Augenhöhe.'
Katja Lange-Müller, Berlin)

'Schäfer schreibt in einem nüchternen Stil. Kurze Sätze. Meisterhaft prägnant. Klare Bilder, voll grausiger Phantasie. Wie Hieronymus Bosch einst die Hölle im Jenseits malte, so schildert Schäfer das Grauen der Einsamen und Verzweifelten im Diesseits , Es sind Geschichten über die alltägliche, normale Schrecklichkeit.'
(Gerd Küppers, Ockenfels)




 

 

 

 

 



 

 

 

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